Im fernen China lebte vor langer, langer Zeit einmal ein Student mit Namen Mi, der war so arm, dass er sich nicht einmal eine Tasse Tee leisten konnte. Ein gütiger Wirt gab ihm jeden Tag eine Tasse Teee und eine Schale Reis und liess ihn umsonst bei sich wohnen. Wäre der Wirt nicht gewesen, der Student wäre wohl verhungert.
So ging das eine lange Zeit. Eines Tages sprach der Student: "Höre, Wirt. Ich muss nun fort. Ich dann dir deine grosse Güte nicht vergelten, doch ich will dir etwas dalassen, das vielleicht mehr wert ist, als ich dir schulde."
Damit zog er ein Stück gelbe Kreide aus der Tasche und malte andie Wand der Teestube einen Kranich. Der sah aus wie ein richtiger Kranich, nur dass er gelb war. Der Student erklärte: "Wenn deine Teestube voller Menschen ist, so klatscht alle miteinander dreimal in die Hände, und der Kranich wird tanzen. Doch hüte dich, lass ihn niemals für einen Menschen nur allein tanzen, dann verschwindet er für immer."
Damit drehte sich der Student um und ging.
Nun wurde es Abend. Die Teestube war voller Menschen, da dachte der Wirt, ich muss es ausprobieren. Er bat seine Gäste: "Lasst und dreimal in die Hände klatschen."
Und wirklich! Der Kranich stieg von der Wand. Er breitete seine langen Flügel aus und tanzte durch die ganze Teestube. Ab und zu berührte er dabei manche mit den Flügelspitzen, aber nur ganz zart, und die Leute waren wie verzaubert. Als der Kranich einmal herum war, stieg er wieder auf seine Wand und blieb dort. Mit offenem Mund sassen die Leute da und konnten nicht glauben, was sie doch selbst gesehen hatten.
Es sprach sich bald herum, und von nun an war die Teestube jeden Abend voller Menschen. Die kamen von nah und Fern, um dieses Wunder zu sehen. Der Wirt war bald ein wohlhabender Mann.
Davon hörte auch ein reicher Beamter ud er kam eines Tags mit seinen Dienern und sprach zum Wirt: "Dein Kranich soll nur mich alleine tanzen", und gebot den Dienern, alle andern Gäste aus der Teestuber herauszutreiben.
Und als der Beamte allein war mit dem Wirt, legte er einen Beutel Gold auf den Tisch.
Als der Wirt das viele Gold sah, vergass er ganz, was ihm der Student gesagt hatte. Er klatschte in die Hände, diesmal allein. Und wirklich, der Kranich steig von der Wand. Doch er breitet nur ein wenig seine Flügel aus, drehte sich einmal um sich selbst und stieg wieder an die Wand. Müde und krank sah er jetzt aus! Der Bemate tobte und schrie, er wolle mehr für sein Geld, dach der Kranich blieb, wo er war.
Es war schon spät am Abend, da klopfte es an der Tür, und als der Wirt öffnete, stand draussen der Student Mi. Er sprach kein Wort, er zog nur eine kleine Flöte aus der Tasche und spielte eine zarte, traurige Melodie, lief zur Wand, drehte sich um und der Kranich stieg herab und beide liefen au der Teestube hinaus, durch dunkle Gassen, durch breite Strassen, über den Markt zur Stadttor hinaus, und niemand hat sie wiedergesehen...
Und die alten Leute, die sagen es: "Wenn es ein Wunder gibt, dann ist es immer für alle da. Wenn es einer für sich allein haben will, dann verschwindet es für immer.
Märchen aus China
Comments